Dorf

Montag, 6. November 2017

Dorf und Kleinbahn

Am 4. November fand in Wietze im Deutschen Erdölmuseum das 6. industriegeschichtliche Kolloquium des „Netzwerk Industriekultur im mittleren Niedersachsen“ zum Thema „Industrie und Mobilität“ statt.  Mein Beitrag widmete sich dem Thema „Dorf und Kleinbahn“ und ist in der schon zum Kolloquium erschienenen Broschüre gleichen Themas (als Heft 6 der Schriftenreihe des Netzwerks) erschienen. Im folgenden fasse ich noch einmal meine zentralen Thesen des Vortrags (nicht des Aufsatzes) zusammen.
 
  1. Die Eisenbahn steht im 19. Jahrhundert für ein höchst leistungsfähiges System. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich nicht nur der deutsche Lokomotivbau zu einem der erfolgreichsten der Welt, nachdem noch 1835 alles aus England eingeführt werden musste. Vor allem ist die Geschwindigkeit, mit der dieses neue Verkehrssystem eingeführt wurde, von einer verblüffenden Geschwindigkeit, obwohl in vielen Gebieten Neuland begangen werden musste. Eine animierte Gif des Kartenservers des IES in Mainz zeigt dies anhand des Ausbaus des Streckennetzes sehr eindrucksvoll: https://www.ieg-maps.uni-mainz.de/mapsp/mapebga0.htm
  2. Die zuweilen zu findende Annahme, dass durch den Eisenbahnbau des 19. Jahrhunderts das Pferd obsolet geworden sei, ist eine Legende. Das Gegenteil ist der Fall, denn der Zubringerverkehr zu den Bahnhöfen stieg durch den Eisenbahnbau erheblich an und konnte bis in das späte 19. Jahrhundert nur durch das Pferd erbracht werden. Erst schrittweise wird etwa durch elektrische Eisenbahn oder die zunächst dampfbetriebenen Kleinbahnen ab den 1890er Jahren das Pferdefuhrwerk ersetzt. Endgültig wird dieser Ersatz aber erst durch das Automobil und den Traktor im 20. Jahrhundert vollzogen.
  3. Dörfer waren auch vor der Industrialisierung häufig Teil eines transnationalen Wirtschaftssystems. Symbol dafür ist interessanterweise der eher als Symbol für die gute, alte und überschaubare Zeit geltende Webstuhl. In einigen Regionen lebte in der Tat bis in das 19. Jahrhundert ein großer Teil der Dorfbevölkerung vom Weben und Spinnen. Allerdings wurde die fertige Leinwand keineswegs für den lokalen Bedarf gewebt, sondern besonders für den überregionalen, ja transatlantischen Markt. Wir haben hier ein frühes Beispiel für globale Wirtschaftsbeziehungen. Jedoch brachen die Absatzmärkte mit dem Aufkommen englischer Maschinenware zusammen. Das Weberelend des frühen 19. Jahrhunderts war damit ein frühes Beispiel für die negativen Auswirkungen der Globalisierung. Viele Angehörige der Unterschichten, die bislang von der Weberei gelebt hatten, verließen ihre Dörfer und gingen nach Amerika. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich diese Verhältnisse. Nun boten sich die deutschen Industriegebiete und die wachsenden Städte als Wanderungsziele an. In Deutschland setzte eine starke Binnenwanderung vom Land in die Städte ein.
  4. Auf den Dörfern änderten sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Verhältnisse. Durch die Agrarreformen waren die Bauern nun freie Eigentümer ihres Landes. Das hatte zwei Effekte: Einerseits hatten die Landwirte damit nun mehr Land, denn die bisherigen Gemeinheiten waren weitgehend privatisiert worden. Dadurch entstand ein Arbeitsbedarf, der den ländlichen Unterschichten zugute kam. Andererseits gab es nun einen Immobilienmarkt auf dem Dorf, so dass eine Welle von Landverkäufen einsetzte, wodurch verstärkt neue Wohnhäuser gebaut werden konnten. Die iim 1850 noch dramatische Wohnungsnot wurde deutlich geringer - ein Grund, nicht mehr unbedingt das Dorf zu verlassen.
  5. Dörfer wurden nach 1870 entweder bäuerlicher, weil die alten gewerblichen Tätigkeiten entfielen und auch kleinere Betriebe von der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln in den expandierenden Großstädten und den Industrierevieren profitierten, wie etwa das Oldenburger Münsterland, das sich auf Schweinemast für das Ruhrgebiet und Bremen spezialisierte. In Grünlandgebieten dagegen wurde die Milchviehzucht ausgebaut und das Ruhrgebiet mit Milch oder Sahne beliefert. Andere Dörfer wurden zu Arbeiterwohngemeinden, weil in der Nachbarschaft Industriebetriebe entstanden wie bei der Ilseder Hütte oder in den Bergbaurevieren von Deister und Bückeberg.
  6. Allerdings verhinderten diese Entwicklungen nicht, dass ländliche Gebiete zunehmend in Gefahr gerieten, von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt zu werden. Das galt in allgemeiner Weise, das galt aber besonders für die marktorientierte Landwirtschaft. Kleinbahnen schienen hier eine Lösung zu sein. Sie sollten eine kostengünstige Verbindung zu den größeren Bahnhöfen herstellen und damit den Abstand zwischen Land und Stadt direkt und indirekt verringern. Wenn man so will, waren sie Teil einer regionalen Entwicklungsstrategie.
  7. Leider fehlen Untersuchungen über die Wirkung der Kleinbahnen. Allerdings lassen sich durchaus Wirkungen feststellen, die aber derzeit noch nicht quantifizierbar sind (wenngleich zeitgenössische Autoren sich jede Mühe gaben, einen positiven Effekt nachzuweisen). Immerhin:
    1. Kleinbahnen erleichterten den Marktzugang für ländliche Produzenten, auch des weiterverarbeitenden Gewerbes wie den dörflichen Molkereien.
    2. Ländliche Regionen wurden an die nächstgelegenen Klein- und Mittelstädte angeschlossenen, wodurch sich auch die Chance für einen Besuch weiterführender Schulen ergab.
    3. Kleinbahnen benötigten Personal und boten damit jungen Dorfbewohnern die Chance für einen qualifizierten Schulbesuch. Das konnten sicherlich nur wenige nutzen, aber es war ein qualitativer Fortschritt.
    4. Kleinbahnen dürften die durch sie berührten Dörfer verändert haben, und zwar in vielen kleinen Details.
    5. Kleinbahnen konnten ländliche Regionen für den Tourismus erschließen, wie etwa am Steinhuder Meer.
  8. Und dann kam doch das Ende. Die Durchsetzung des Individualverkehrs war das Ende der Kleinbahn. Hier rächte sich endgültig die knappe finanzielle Basis der Kleinbahnen. Sie waren nichts anderes als bessere und etwas andere Straßenbahnen, ihre Strecken verliefen häufig neben den Straßen, ab den 1950er Jahren gerieten sie mit dem Straßenverkehr dann in Konflikt. Die schmale technische Basis bedeutete auch vergleichsweise geringe Geschwindigkeiten. Der Konkurrenz des Pkw waren sie damals aus gleich mehreren Gründen nicht gewachsen. Allerdings wurden die alten Strecken meist in Zukunft weiter bedient, jedoch nun von dem Bus, der teilweise schon in den 1930er Jahren eingesetzt worden war.
 
Weiterführende Literatur:
Credé, Hans-Jürgen: Anmerkungen zur sozioökonomischen Bedeutung der Kleinbahnen., in: Die Museum-Eisenbahn 4, 1989, S. 35–43
Fesche, Klaus: Auf zum Steinhuder Meer!: Geschichte des Tourismus am größten Binnensee Niedersachsens, Bielefeld 1998 (Kulturlandschaft Schaumburg 2).
Hansen, Nils; Tillmann, Doris: Dorferneuerung um 1900, Heide 1990 (Dithmarscher Schriftenreihe zur Landeskunde).
Kleinbahnen, Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, <http://www.geschichte-s-h.de/kleinbahnen/>, Stand: 12.05.2017
Mütter, Bernd; Meyer, Robert: Agrarmodernisierung im Herzogtum Oldenburg zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg: Marsch und Geest im intraregionalen Vergleich (Ämter Brake, Elsfleth und Cloppenburg), Hannover 1995 (Quellen und Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens in der Neuzeit 18).
Rammelt, Hans-Dieter; Fiebig, Günther; Preuß, Erich: Geschichte der Klein- und Privatbahnen: Entwicklung, Bau, Betrieb, Berlin 1995 (Archiv deutscher Klein- und Privatbahnen).
Rogl, Hans Wolfgang; Kenning, Ludger: Die Steinhuder-Meer-Bahn, Nordhorn 1998.
Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte Der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2015.
Schneider, Karl H.: Schaumburg in der Industrialisierung. Bd. 2. Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg., Melle 1995 (Schaumburger Studien 55).
Südbeck, Thomas: Motorisierung, Verkehrsentwicklung und Verkehrspolitik in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er Jahre : zwei Beispiele ; Hamburg und das Emsland, 1992.
Thaer, Albrecht Daniel: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft, Berlin 1809.
Ziegler, Dieter: Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung: die Eisenbahnpolitik der deutschen Staaten im Vergleich, Stuttgart 1996.
Wolff, Gerd: Deutsche Klein- und Nebenbahnen. Bd. 10: Niedersachsen 2: Zwischen Weser und Elbe, Freiburg i. Br. 2005.
Ziessow, Karl-Heinz; Griep, Wolfgang: Auf Achse: Mobilität im ländlichen Raum. Cloppenburg 1998 (Materialien & Studien zur Alltagsgeschichte und Volkskultur Niedersachsens 29)

Freitag, 5. Oktober 2012

Das Dorf und die Bewegung

Die Frage, was überhaupt ein Dorf ausmacht, ist eine, die mich seit Jahren bewegt und beschäftigt. In den letzten Jahren stellt sie sich erneut für mich verstärkt. Zum einen deshalb, weil ich für einen früheren Wohnort an einer Ortsgeschichte mitschreibe und im Prozess des Recherchierens und Schreibens dieses Dorf (bzw. dieser beiden Dörfer) erneut entdecke. Dabei stoße ich immer wieder auf die Tatsache, dass nur ein Teil der Menschen im Dorf dort auch geboren worden ist und sein Leben nur dort verbracht haben. Allerdings handelt es sich um Arbeiterdörfer, für die vielleicht andere Regeln gelten als für das, was die meisten unter einem richtigen "Dorf" verstehen. Also eines mit Bauern.

Bei der Recherche für Krainhagen - so heißt eines der beiden Dörfer - habe ich zunehmend auch das Netz genutzt. Wichtige Datenbanken, die Auskünfte über Lebensläufe geben können, finden sich dort, etwa zur Auswanderergeschichte oder - was mich in der letzten Zeit beschäftigt hat - der Geschichte der beiden Weltkriege. Das Netz bietet plötzlich gänzlich neue Möglichkeiten der Mikrogeschichte: wir können, zumindest in Ansätzen, den Menschen auf ihren Wegen folgen, sind also nicht mehr an die ortsgebundenen Quellen der einzelnen Archive gebunden, deren Akten vorwiegend den Ort und die dort lebenden Menschen im Fokus haben.

Derzeit lese ich erneut die Geschichte des Knechts und Tagelöhners Franz Rehbein, dessen 1907 erschienene Lebenserinnerungen  als Einstiegslektüre für ein Seminar über Landarbeiter dienen sollen. Rehbein stammte aus einem pommerschen Dorf, sein Vater war Schneidermeister, der auf seine Ehre achtete, aber sonst mit seiner Familie ein armseliges Leben führte. Rehbein ging früh aus Pommern weg, überall sonst auf der Welt schien das Leben  mindestens genau so gut zu sein. Seine ersten Stationen waren in Schleswig-Holstein, wo er auf mehreren Gütern und Bauernhöfen als Knecht arbeitete. Das spannende an dieser Phase sind mehrere Aspekte: Zum einen arbeitete er als Knecht nur selten mehr als ein Jahr auf einem Hof. Er wanderte also über die Dörfer. Er beschreibt aber auch seine Bauern. Und auch diese waren offenkundig nicht auf ein Dorf fixiert, sondern lebten in einem über mehrere Dörfer sowie benachbarte Flecken verteilten bürgerlich-bäuerlichen Netzwerk. Wohlgemerkt, diese Geschichte spielt sich ungefähr in den späten 1880er Jahren ab. Das Dorf als solches spielt dabei keine nennenswerte Rolle. Das mag auch mit den Siedlungsgegebenheiten der Marsch zusammen hängen. Aber der Befund entspricht in vielen Punkten dem, was wir aus anderen Studien entnehmen könnten: Dörfer sind zwar keine reinen Recheneinheiten, die lediglich für die Obrigkeit relevant waren, sie waren und sind auch wichtige Siedlungs-und Sozialräume. Aus der Perspektive der einzelnen Akteure sieht es aber oft etwas anders aus.  Dann konkurriert der Sozialraum Dorf mit anderen sozialen Räumen. Unterschiede kann es bei den jeweiligen Gruppen gegeben zu haben, aber der seinen Leben lang an einem Ort verbringende Dorfbewohner stellte sicherlich nur ein von vielen Typen dar.

Dörfer waren nicht nur in Bewegung (so ein Buch von Stephan Beets), sondern die Menschen, die in Dörfern lebten, waren es und zwar in einem sehr hohen Maße. Ich habe allerdings Hemmungen, in diesem Kontext von Migration zu sprechen. Trotz der Bedeutungserweiterung, die dieser Begriff in den letzten Jahren erfahren hat (weg von der vermeintlich einmaligen Wanderung von einem Ort an einen anderen), war Bewegung mehr, nämlich ein integrativer Bestandteil der Existenz von einem vermutlich gar nicht so geringen Teil der Landbevölkerung. Bewegung heißt hier auch Bewegung im realen und im sozialen Raum. Rehbein akzeptiert zwar teilweise die Begrenzungen seiner Knechtexistenz, aber auch nur teilweise, er sucht auch den sozialen Aufstieg.

Mittwoch, 19. Januar 2011

"Ist die ländliche Peripherie männlich?"

Fragt ein neuerer Artikel des Leibniz-Instituts für Länderkunde vom 24.11.2010. Er veweist damit auf ein Problem, das in diesem Fall für die letzten 20 Jahre untersucht wurde, sich aber in einer viel längeren historischen Entwicklung wiederfindet. Schon um 1900 wurde darüber geklagt, dass Frauen lieber die Dörfer verlassen würden. Das war damals aus der Sicht mancher Akteure deshalb kritikwürdig, weil erstens die Frauen oft ihre Männer "mitzogen", dann aber auch, weil Frauen begehrte, da gute und billige, Arbeitskräfte auf dem Lande waren. Noch bis in die 1950er Jahren waren die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Frauen auf dem Lande deutlich schlechter als für Männer. Kein Wunder also, dass viele wegzogen. Doch an dem Wegzug von Frauen vom Lande hat sich seitdem nicht viel geändert. Sendungen wie "Bauer sucht Frau" sind also keineswegs nur Fantasieprodukte von Privatsendern, sondern sie verweisen auch auf ein strukturelles Problem. In dem zitierten Artikel wird übrigens erwähnt, dass eine norwegische Gruppe die Zurückgebliebenen, also vorrangig die Männer, keine Problemgruppe seien, da das Land ihnen vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen biete.

Sonntag, 16. Januar 2011

Bauern?

Warum Bauern?

In der HAZ wird am Wochenende der ostfriesische Spruch "Lever dot as Slav" auf hochdeutsch übersetzt (und zwar in: "Wir sind das Volk"), in der Berliner Zeitung werden wieder mehr Teilzeitbauern gefordert und ich frage mich, was da los ist. Es scheint ja nun eine Reihe von Menschen zu geben (und dazu gehören leider auch immer wieder Historikerinnen und Historiker), die unter "Bauer" einen Landbewohner oder Dorfbewohner verstehen. Für den Agrarhistoriker (und den ehemaligen Dorfbewohner) krümmt sich dann schnell der Magen zusammen. Denn "Bauern" waren im Dorf noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein nur diejenigen, die sich Pferdegespanne leisten konnten, einen großen Betrieb also führten, und im Dorf die sozial unangefochtene Führungsposition einnahmen. Und da Landwirtschaft bis in die 1950er Jahre hinein extrem personalintensiv war, brauchten die Bauern immer Arbeitskräfte, die dann allerdings unter schlechten bis sehr schlechten Bedingungen für sie arbeiten mussten. Das "mussten" ist ernst gemeint, denn die eigentlich von Landarbeitern abhängigen Bauern schafften es, sich die anderen Dorfbewohner, die "kleinen Leuten" gefügig zu machen. Letztere hatten immer etwas Land zur Eigenbewirtschaftung und waren für die Bestellung ihres Feldes auf die Hilfe der Bauern angewiesen.

Und so waren besonders die ostfriesischen Verhältnisse von einer extrem krassen Unterscheidung zwischen Reich und Arm gekennzeichnet. Wenn dann heute so getan wird, als seien alle hier Freie gewesen, so werden schnell die Landarbeiter vergessen, deren Zustand näherte sich bedenklich dem der Sklaven an. Dass übrigens dieser Spruch auch gern in völkischen Kreise genutzt wurde und nicht so "unschuldig" ist, wie es die HAZ hinstellt (die aber gern "bedenkliche" Straßennamen anprangert), sei hier nur am Rande erwähnt.




Donnerstag, 8. Juli 2010

Zur Verödung des flachen Landes

Als wir im letzten Jahr uns mit Scheunenvierteln in Niedersachsen beschäftigten, ging es uns um die Geschichte dieser "Viertel". Für alle anderen ging es um etwas anderes, nämlich um die Frage, wie es gelingen kann, diese Gebäude längerfristig zu sichern. Die gefundene Antwort entspricht etwa der, die in einem FAZ-Interview Birgit Franz, Architekturprofessorin aus Hildesheim, gibt: "sanfter Tourismus", d.h. man will im wesentlichen Besucher aus der Region ermuntern, an Wochenenden zu speziellen Veranstaltungen diese Objekte zu besuchen. Wenn sie allerdings schreibt, dass auf Geld nicht zu hoffen ist, dann trifft das auf die Scheunenviertel nicht zu. Der "ländliche Raum" bekommt Zuschüsse, seit vielen Jahren und weiterhin. Ohne teilweise enormes ehrenamtliches Engagement ginge das auch nicht, aber die würden auch scheitern, gäbe es da nicht immer wieder Zuschüsse.
Dennoch bleiben bei mir Zweifel. Sie beziehen sich darauf, dass auf dem flachen Land aus Orten der Produktion solche der Konsumtion geworden sind. Was viele inzwischen erfolgreich verdrängt haben, ist die schlichte Tatsache, dass der "ländliche Raum" ohne massive Transferleistungen völlig anders aussehen würde. Wer dann ehrlich ist, wie auch die Kollegin Franz, landet schnell bei dem W-Wort: Wüstungen. Wenn sie aber schreibt, Wüstungen habe es auch schon früher gegeben, so muss das konkretisiert werden, denn in historischer Zeit praktisch nur im Mittelalter, insbesondere im Rahmen der hochmittelalterlichen Agrarkrise.

Wüstungen verweisen auf tiefe gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Diese erfassen seit dem Zweiten Weltkrieg praktisch alle Industrieregionen. Die faktisch einzige Antwort, die darauf gefunden wurde, war die massive Subventionierung der Landwirtschaft und der ländlichen Gebiete. Geändert, wenn man darunter das weitgehende Verschwinden der Landwirtschaft aus dem gesellschaftlichen Leben, zugleich auch vieler anderer ökonomischer Aktivitäten, die Auflösung der Infrastruktur (die oft erst im Kaiserreich nach 1870 entstanden war) und die fast komplette Nutzung der Dörfer als Schlafsiedlungen sieht, hat das nichts. Nur wenige Regionen wie das Oldenburger Münsterland oder das Emsland haben noch eine tragfähige agrarische Komponente, andere, stadtferne Regionen (und die fangen offenbar selbst in Orten wie Liebenau, nicht einmal eine Autostunde von Hannover und in Nachbarschaft zu Hannover, an, eignen sich selbst als Wohnort immer weniger. Bemerkenswert an dieser Situation ist, wie sehr immer und immer wieder versucht wird, das vermeintlich historische Dorf zu retten. Während dafür in den letzten Jahrzehnten nicht unerhebliche Mittel bereit standen, wird jetzt gerade entdeckt, dass das flache Land immer noch unzureichend mit Breitband-Anschlüssen für das Internet verbunden ist! Anstatt aber in dieser Versorgung nicht nur ein Grundrecht zu sehen, sondern auch eine notwendige Grundlage für praktisch alle gesellschaftlichen und ökonomischen Aktivitäten, wird daraus ein - Wettbewerb!

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