Montag, 6. November 2017

Dorf und Kleinbahn

Am 4. November fand in Wietze im Deutschen Erdölmuseum das 6. industriegeschichtliche Kolloquium des „Netzwerk Industriekultur im mittleren Niedersachsen“ zum Thema „Industrie und Mobilität“ statt.  Mein Beitrag widmete sich dem Thema „Dorf und Kleinbahn“ und ist in der schon zum Kolloquium erschienenen Broschüre gleichen Themas (als Heft 6 der Schriftenreihe des Netzwerks) erschienen. Im folgenden fasse ich noch einmal meine zentralen Thesen des Vortrags (nicht des Aufsatzes) zusammen.
 
  1. Die Eisenbahn steht im 19. Jahrhundert für ein höchst leistungsfähiges System. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich nicht nur der deutsche Lokomotivbau zu einem der erfolgreichsten der Welt, nachdem noch 1835 alles aus England eingeführt werden musste. Vor allem ist die Geschwindigkeit, mit der dieses neue Verkehrssystem eingeführt wurde, von einer verblüffenden Geschwindigkeit, obwohl in vielen Gebieten Neuland begangen werden musste. Eine animierte Gif des Kartenservers des IES in Mainz zeigt dies anhand des Ausbaus des Streckennetzes sehr eindrucksvoll: https://www.ieg-maps.uni-mainz.de/mapsp/mapebga0.htm
  2. Die zuweilen zu findende Annahme, dass durch den Eisenbahnbau des 19. Jahrhunderts das Pferd obsolet geworden sei, ist eine Legende. Das Gegenteil ist der Fall, denn der Zubringerverkehr zu den Bahnhöfen stieg durch den Eisenbahnbau erheblich an und konnte bis in das späte 19. Jahrhundert nur durch das Pferd erbracht werden. Erst schrittweise wird etwa durch elektrische Eisenbahn oder die zunächst dampfbetriebenen Kleinbahnen ab den 1890er Jahren das Pferdefuhrwerk ersetzt. Endgültig wird dieser Ersatz aber erst durch das Automobil und den Traktor im 20. Jahrhundert vollzogen.
  3. Dörfer waren auch vor der Industrialisierung häufig Teil eines transnationalen Wirtschaftssystems. Symbol dafür ist interessanterweise der eher als Symbol für die gute, alte und überschaubare Zeit geltende Webstuhl. In einigen Regionen lebte in der Tat bis in das 19. Jahrhundert ein großer Teil der Dorfbevölkerung vom Weben und Spinnen. Allerdings wurde die fertige Leinwand keineswegs für den lokalen Bedarf gewebt, sondern besonders für den überregionalen, ja transatlantischen Markt. Wir haben hier ein frühes Beispiel für globale Wirtschaftsbeziehungen. Jedoch brachen die Absatzmärkte mit dem Aufkommen englischer Maschinenware zusammen. Das Weberelend des frühen 19. Jahrhunderts war damit ein frühes Beispiel für die negativen Auswirkungen der Globalisierung. Viele Angehörige der Unterschichten, die bislang von der Weberei gelebt hatten, verließen ihre Dörfer und gingen nach Amerika. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts änderten sich diese Verhältnisse. Nun boten sich die deutschen Industriegebiete und die wachsenden Städte als Wanderungsziele an. In Deutschland setzte eine starke Binnenwanderung vom Land in die Städte ein.
  4. Auf den Dörfern änderten sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts die Verhältnisse. Durch die Agrarreformen waren die Bauern nun freie Eigentümer ihres Landes. Das hatte zwei Effekte: Einerseits hatten die Landwirte damit nun mehr Land, denn die bisherigen Gemeinheiten waren weitgehend privatisiert worden. Dadurch entstand ein Arbeitsbedarf, der den ländlichen Unterschichten zugute kam. Andererseits gab es nun einen Immobilienmarkt auf dem Dorf, so dass eine Welle von Landverkäufen einsetzte, wodurch verstärkt neue Wohnhäuser gebaut werden konnten. Die iim 1850 noch dramatische Wohnungsnot wurde deutlich geringer - ein Grund, nicht mehr unbedingt das Dorf zu verlassen.
  5. Dörfer wurden nach 1870 entweder bäuerlicher, weil die alten gewerblichen Tätigkeiten entfielen und auch kleinere Betriebe von der steigenden Nachfrage nach Lebensmitteln in den expandierenden Großstädten und den Industrierevieren profitierten, wie etwa das Oldenburger Münsterland, das sich auf Schweinemast für das Ruhrgebiet und Bremen spezialisierte. In Grünlandgebieten dagegen wurde die Milchviehzucht ausgebaut und das Ruhrgebiet mit Milch oder Sahne beliefert. Andere Dörfer wurden zu Arbeiterwohngemeinden, weil in der Nachbarschaft Industriebetriebe entstanden wie bei der Ilseder Hütte oder in den Bergbaurevieren von Deister und Bückeberg.
  6. Allerdings verhinderten diese Entwicklungen nicht, dass ländliche Gebiete zunehmend in Gefahr gerieten, von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt zu werden. Das galt in allgemeiner Weise, das galt aber besonders für die marktorientierte Landwirtschaft. Kleinbahnen schienen hier eine Lösung zu sein. Sie sollten eine kostengünstige Verbindung zu den größeren Bahnhöfen herstellen und damit den Abstand zwischen Land und Stadt direkt und indirekt verringern. Wenn man so will, waren sie Teil einer regionalen Entwicklungsstrategie.
  7. Leider fehlen Untersuchungen über die Wirkung der Kleinbahnen. Allerdings lassen sich durchaus Wirkungen feststellen, die aber derzeit noch nicht quantifizierbar sind (wenngleich zeitgenössische Autoren sich jede Mühe gaben, einen positiven Effekt nachzuweisen). Immerhin:
    1. Kleinbahnen erleichterten den Marktzugang für ländliche Produzenten, auch des weiterverarbeitenden Gewerbes wie den dörflichen Molkereien.
    2. Ländliche Regionen wurden an die nächstgelegenen Klein- und Mittelstädte angeschlossenen, wodurch sich auch die Chance für einen Besuch weiterführender Schulen ergab.
    3. Kleinbahnen benötigten Personal und boten damit jungen Dorfbewohnern die Chance für einen qualifizierten Schulbesuch. Das konnten sicherlich nur wenige nutzen, aber es war ein qualitativer Fortschritt.
    4. Kleinbahnen dürften die durch sie berührten Dörfer verändert haben, und zwar in vielen kleinen Details.
    5. Kleinbahnen konnten ländliche Regionen für den Tourismus erschließen, wie etwa am Steinhuder Meer.
  8. Und dann kam doch das Ende. Die Durchsetzung des Individualverkehrs war das Ende der Kleinbahn. Hier rächte sich endgültig die knappe finanzielle Basis der Kleinbahnen. Sie waren nichts anderes als bessere und etwas andere Straßenbahnen, ihre Strecken verliefen häufig neben den Straßen, ab den 1950er Jahren gerieten sie mit dem Straßenverkehr dann in Konflikt. Die schmale technische Basis bedeutete auch vergleichsweise geringe Geschwindigkeiten. Der Konkurrenz des Pkw waren sie damals aus gleich mehreren Gründen nicht gewachsen. Allerdings wurden die alten Strecken meist in Zukunft weiter bedient, jedoch nun von dem Bus, der teilweise schon in den 1930er Jahren eingesetzt worden war.
 
Weiterführende Literatur:
Credé, Hans-Jürgen: Anmerkungen zur sozioökonomischen Bedeutung der Kleinbahnen., in: Die Museum-Eisenbahn 4, 1989, S. 35–43
Fesche, Klaus: Auf zum Steinhuder Meer!: Geschichte des Tourismus am größten Binnensee Niedersachsens, Bielefeld 1998 (Kulturlandschaft Schaumburg 2).
Hansen, Nils; Tillmann, Doris: Dorferneuerung um 1900, Heide 1990 (Dithmarscher Schriftenreihe zur Landeskunde).
Kleinbahnen, Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, <http://www.geschichte-s-h.de/kleinbahnen/>, Stand: 12.05.2017
Mütter, Bernd; Meyer, Robert: Agrarmodernisierung im Herzogtum Oldenburg zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg: Marsch und Geest im intraregionalen Vergleich (Ämter Brake, Elsfleth und Cloppenburg), Hannover 1995 (Quellen und Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Niedersachsens in der Neuzeit 18).
Rammelt, Hans-Dieter; Fiebig, Günther; Preuß, Erich: Geschichte der Klein- und Privatbahnen: Entwicklung, Bau, Betrieb, Berlin 1995 (Archiv deutscher Klein- und Privatbahnen).
Rogl, Hans Wolfgang; Kenning, Ludger: Die Steinhuder-Meer-Bahn, Nordhorn 1998.
Schivelbusch, Wolfgang: Geschichte Der Eisenbahnreise: Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2015.
Schneider, Karl H.: Schaumburg in der Industrialisierung. Bd. 2. Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg., Melle 1995 (Schaumburger Studien 55).
Südbeck, Thomas: Motorisierung, Verkehrsentwicklung und Verkehrspolitik in der Bundesrepublik Deutschland der 1950er Jahre : zwei Beispiele ; Hamburg und das Emsland, 1992.
Thaer, Albrecht Daniel: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft, Berlin 1809.
Ziegler, Dieter: Eisenbahnen und Staat im Zeitalter der Industrialisierung: die Eisenbahnpolitik der deutschen Staaten im Vergleich, Stuttgart 1996.
Wolff, Gerd: Deutsche Klein- und Nebenbahnen. Bd. 10: Niedersachsen 2: Zwischen Weser und Elbe, Freiburg i. Br. 2005.
Ziessow, Karl-Heinz; Griep, Wolfgang: Auf Achse: Mobilität im ländlichen Raum. Cloppenburg 1998 (Materialien & Studien zur Alltagsgeschichte und Volkskultur Niedersachsens 29)

Mittwoch, 20. Mai 2015

Es passiert doch einiges

Hier ist es in den letzten Monaten sehr, sehr ruhig geworden. Das heißt aber nicht, dass nichts passiert ist. Wir haben in den letzten Jahren in verschiedenen Projektseminaren eine Reihe von Aktionen durchgeführt, etwa zum Ersten Weltkrieg oder zur Geschichte der kleinen Stadt Obernkirchen. Ergebnisse daraus werden jetzt nach und nach in der Lernwerkstatt Geschichte veröffentlicht, wobei gerade zwei Abschlußarbeiten online gestellt worden sind. Zu Obernkirchen beginne ich gerade mit einem kleinen Blog, der ein wenig die verwaiste Seite des Museums Obernkirchen auflockern soll.

Außerdem wurde jetzt von unseren Studierenden bei Hypotheses ein Blog eingerichtet, Zeit.Räume, dort findet sich auch ein Beitrag zu einer Lesung, die aus dem Projekt zum Ersten Weltkrieg hervor gegangen ist.

Es passiert also an einigen Stellen etwas, aber im Gegensatz zu anderen, sind die Blogs derzeit für mich ein Beiwerk, wichtiger sind die direkten Kontakte und Gespräche. Damit sind, jedenfalls nach meiner Meinung, deutlich mehr Menschen gerade im regionalen und lokalen Kontext zu erreichen.

Mittwoch, 4. März 2015

Blog Befreiung 1945

Nach einiger Zeit der Ruhe beginnt hier vielleicht doch wieder neues Leben. Als erstes möchte ich auf einen neuen Blog hinweisen der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. In einer Mitteilung heißt es:

"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
zum 70. Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung haben niedersächsische Gedenkstätten, Vereine und Einzelpersonen unter der Adresse http://blog.befreiung1945.de eine Website erarbeitet, auf der seit dem 27. Februar täglich bis zum 8. Mai Ereignisse vorstellt werden, die sich vor 70 Jahren in Nordwestdeutschland ereignet haben. Die Beiträge werfen exemplarisch Schlaglichter auf Verbrechen, die Angehörige von SS, Gestapo, Polizei, Wehrmacht und Volkssturm, aber auch Zivilisten in den letzten Tagen des Krieges begangen haben. Zudem schildern sie die Situation der Häftlinge und Gefangenen in den Lagern und anderen Haftstätten kurz vor und nach ihrer Befreiung.
 
Wir würden uns freuen, wenn Sie die Seiten besuchen, den Link der Website auf Ihre Homepage setzen, „twittern“ oder „liken“ oder auch diese Mail an Ihre Kolleginnen weiterleiten.
Sie können auch auf Facebook den Link teilen: https://www.facebook.com/GedenkstaetteBergenBelsen."

 

Mittwoch, 17. September 2014

Das "verschwundene" Jahrhundert

Mein Kollege Carl-Hans Hauptmeyer hat in der hannoverschen Zeitschrift „Stadtkind“ einen leicht ironischen Artikel über den aktuellen „Royals“-Hype in Hannover geschrieben. Tenor: 1913 wurde noch groß das bürgerliche Hannover zum 100-jährigen Jubiläum des Rathauses gefeiert und nun wird die Gegenpartei gleichfalls bejubelt, dabei spielte die Personalunion gar keine Rolle für die Stadt. Als ich das gestern gelesen habe, musste ich an den folgenden Text denken, den ich im Sommer in Dresden mal so nebenbei geschrieben und dann vergessen hatte, der im Inhalt eine andere Aussage enthält, aber derselben Irritation über die leicht irrationalen Feiern zur Personalunion geschuldet ist.
 
Die Überschrift soll irritieren. Natürlich gab es das 18. Jahrhundert. Wenn man aber berücksichtigt, welche Entwicklungen im 18. Jahrhundert stattfanden, dann erfassten davon einige wichtige Hannover, die Stadt und das Kurfürstentum, eben nicht, sie kamen hier schlicht nicht vor. Blicken wir kurz ins 17. Jahrhundert. In einigen europäischen und deutschen Staaten stärkten die Fürsten ihre Macht gegenüber regionalen Gewalten, insbesondere gegenüber den Ständen, die weitgehend die Steuereinnahmen der Territorien kontrollierten. Die Abschaffung ständischer Steuerbewilligungsrechte mündete in das, was wir mit Absolutismus beschreiben (dass dieser Begriff eher problematisch ist, soll hier nur angedeutet werden). Gleichzeitig investierten die Fürsten in ihre Residenzen und Hauptstädte. Im 18. Jahrhundert wurde dieser Prozess massiv voran getrieben. In Kurhannover gab es Ende des 17. Jahrhunderts vergleichbare Entwicklungen. Sie wurden allerdings mit der Personalunion und dem Weggang des Herrschers abrupt unterbrochen. Die Landstände (und das heißt faktisch der Adel) behielten hier ihre Macht, Hannover wurde als Haupt- und Residenzstadt nicht weiter entwickelt. Die Stadt war am Anfang des 18. Jahrhunderts unbedeutend und sie war es auch noch Anfang des 19. Jahrhunderts.
Das fällt besonders im Vergleich mit anderen Residenzstädten auf, wenn man sich allein die Bevölkerungszahlen ansieht (ich nehme hier die bei den Wikipediaartikeln zur Einwohnerentwicklung angegebenen Zahlen, wobei es im Falle Hannovers keine Daten für 1700 gibt, und runde sie zuweilen ab oder auf).


Berlin verdreifachte seine Einwohnerzahl im 18. Jahrhundert von etwas über 50.000 auf über 172.000; in München gab es 1800 mehr als anderthalb mal so viel Einwohner wie 1700 (40.450 zu 24.000), in Dresden gab es fast wie in Berlin fast eine Verdreifachen (21.300 zu 61.800). Und in Hannover? Dort gab es um 1700 ca. 11.000, 1766 11.800 Einwohner und 1811 16.800 Einwohner. Mit anderen Worten: In der späteren Hauptstadt des Landes Niedersachsen geschah innerhalb eines Jahrhunderts - nichts. Damit nicht genug, selbst im regionalen Vergleich war die Stadt zweitrangig. Für Braunschweig werden in der Wikipedia für das Jahr 1671 15.570 Einwohner angegeben, für 1773 23.400, für 1793 27.300. Hannover blieb also „zurück“, gegenüber großen Residenzstädten wie Berlin oder Dresden und selbst gegenüber einer kleinen wie dem benachbarten Braunschweig.

Hannover, Stadt wie Land, blieben ein Jahrhundert nicht vollständig stehen, aber es gab kaum Entwicklungsimpulse.
Der Kurfürst saß in London und spätestens seit dem dritten Georg hatte er keine besondere Beziehung mehr zu seinen Stammlanden. Zwar regierte er auch in Hannover weiter, aber er gestaltete nicht mehr. Adelige Räte entschieden, was im Land passierte. Und das bedeutete, es passierte kaum noch was.

Nun könnte man meinen, dass es vielleicht doch gar nicht schlecht war, wenn das Land keinen ehrgeizigen Herrscher hatte, wenn niemand das Land auspresste, um Kriege zu führen oder repräsentative Bauten zu errichten. Gewissermaßen bietet das von der Personalunion im Stich gelassene Hannover die Chance, einmal zu überprüfen, wenn ein Land sich völlig anders entwickelte als seine Nachbarn.

Ich schreibe diese Zeilen in Dresden vom rechten Ufer der Elbe, nicht weit vom sogenannten Canaletto Blick. Der Unterschied ist verblüffend zu Hannover. Das liegt nicht allein an der Elbe.
Dresden und erst recht Berlin haben im 18. Jahrhundert wichtige Entwicklungsschritte gemacht, die sich städtebaulich niedergeschlagen haben. Sicher,  es waren repräsentative Gebäude, ohne große Bedeutung für die einfachen Menschen.  Aber mit großer Wirkung für das Land. In Hannover fehlt diese Phase fast vollständig. Hannover hat kein repräsentatives Stadtschloß, keine besonderen Plätze, keine barocke, regelmäßig angelegte Neustadt, keine großen Museen, keine Schatzkammern, keine stadträumlichen Perspektiven (die hat erst nach dem Krieg Hillebrecht angelegt und die gefallen nun auch einigen nicht). Der Anfang mit Herrenhausen war gar nicht schlecht, auch das Leineschloß war ein Anfang, aber dann kam nicht mehr viel. Es fehlt aber fast alles, was den Ort auszeichnen könnte, ihm eine besondere Stellung zuweist. Diese städtebauliche Leere aus dem 18. Jahrhundert, als in anderen vergleichbaren Städten oft der Grundstock gelegt wurde für eine großstädtische Prägung, spiegelt die Leere im Lande wieder. Zwar waren in Calenberg die Landwirte stolz auf ihre hohen Erträge - zu Recht übrigens. Aber sonst geschah nicht wirklich viel.
In Hannover fehlte der Kurfürst. Nicht nur die Stadt litt darunter,  sondern das Land als Ganzes. Im Innern wurden die Stände nicht entmachtet und damit die vielen Zwischengewalten.  Nach außen konnte das Land keine selbstständige Politik betreiben. Das wirkte sich nicht nur im Siebenjährigen Krieg aus,  sondern vor allem in der französischen Zeit. Hannover wurde zerschlagen,  während Bayern und Württemberg gerade dieser Zeit wichtige Impulse zum modernen Zentralstaat verdanken. Man stelle sich mal vor, Hannover hätte wie Sachsen, Bayern oder Württemberg Partner Napoléons werden können.

Hätte, wurde es aber nicht. Stattdessen wurde es in das neue Königreich Westphalen eingegliedert, dessen Hauptstadt - Kassel war. Während Konkurrenten wie Bayern oder Württemberg nicht nur von Mediatisierungen profitieren konnten, sondern die Eingliederungen nutzten, um einen einheitlichen Staat zu schaffen, geschahen in Hannover ganz andere Dinge. Und als dann die Franzosen fort waren, versuchte man in Hannover einfach den Status quo ante wieder her zustellen, während die anderen schon viel weiter waren. Abigail Green hat ein schönes vergleichendes Buch über diese neuen „Vaterländer“ des 19. Jahrhunderts geschrieben (Fatherlands: state-building and nationhood in nineteenth-century Germany, Cambridge 2001).

Meine Vermutung ist also eher: Hannover (der Stadt wie dem Land, aber vielleicht noch mehr der Stadt) „fehlt“ dies 18. Jahrhundert und das ist bis heute der Stadt anzumerken.

Dienstag, 13. Mai 2014

Erster Weltkrieg

Wieder zurück!
Auf Digireg ist es lange recht ruhig gewesen. Das lag an zweierlei Dingen: Zum einen hatte ich - wieder einmal - kein besonderes Interesse, hier zu posten. Zum anderen habe ich ein paar andere Blogs angelegt und dort etwas geschrieben. Aber eigentlich ist es schade um Digireg und deshalb mache ich einen Versuch, hier wieder etwas zu notieren. In diesem Fall über das, womit ich mich zusammen mit einigen Studierenden seit etwa einem Jahr beschäftige: Aspekten des Ersten Weltkriegs in der Region.


Das klingt erst einmal recht allgemein, aber es geht um zunächst sehr konkrete Dinge. Christoph Rass aus Osnabrück hatte uns den Tipp gegeben, sich einmal genauer die Toten eines Ortes anzusehen: Wer sie waren, woher sie stammten, wo sie lebten, wo sie starben. Er hat es mit seinen Leuten inzwischen zu einer gewissen Meisterschaft gebracht (u.a. arbeitet er mit einem GIS), die wir in Hannover noch nicht erreicht haben.
Die Idee hinter diesem Projekt ist, zum einen nach den sozialen Folgen des Todes vieler junger Männer zu fragen, zum anderen sie als eine mehr oder weniger repräsentative Gruppe der damaligen Soldaten anzusehen.

So haben wir im letzten Jahr zunächst die Gefallenen der beiden Kleinstädte Bückeburg und Rinteln erfasst - es waren knapp über 400 von 11.000 Einwohnern - sowie deren Herkunft und die Sterbeorte. Die große Herausforderung war die Ermittlung der Toten, denn die vorhandenen Listen sind oft interpretationsfähig und ohne die örtlichen Personenstandsnachweise wären wir nicht weiter gekommen.
Immerhin konnten wir so die starke räumliche Verteilung der Gefallenen ermitteln und damit das Bild korrigieren, das immer noch viele vom Ersten Weltkrieg haben, nämlich dass dieser sich vornehmlich an der Westfront abgespielt hat. Viele sind auch gar nicht an der Front gefallen, sondern im Lazarett, zuweilen sogar in direkter Näher ihrer Heimatorte.

Der Erste Weltkrieg wird zudem immer wieder mit einem mörderischen Stellungskrieg verbunden, die Schlachten an der Somme oder vor Verdun können dabei als Beispiel dienen. Zugleich sind die Soldaten aus unseren beiden bisherigen Untersuchungsgemeinden vornehmlich im ersten und letzten Kriegsjahr gefallen, nicht im Jahr 1916. Das entspricht zwar auch den allgemeinen Daten, ist aber dennoch auch für das lokale Geschehen bedeutungsvoll gewesen.

Was uns überrascht hat, ist die starke Streuung der Einheiten, in denen die Gefallenen gedient haben. Für beide Städte gab es „Heimateinheiten“, in Rinteln war es das Hamelner IR 164, in Bückeburg das dort stationierte Jägerbataillon 7. Während in letzterem noch eine größere Zahl der Gefallenen gedient hatte, ist in Rinteln die Streuung erheblich. Hier gehörte noch nicht einmal jeder 10. Gefallene dem „Heimatregiment“ an. Für das kleine Heidedorf Hösseringen konnten wir übrigens in einer Schulchronik alle Kriegsteilnehmer ermitteln. Dort war die Streuung noch größer: 44 Kriegsteilnehmer und eben so viel Einheiten. Zwar waren einige, maximal drei, in einer Einheit, aber andere dienten während des Krieges in bis zu drei Einheiten. Die Mobilität der Soldaten dürfte erheblich gewesen sein: Viele Einheiten wechselten mehrfach den Kriegsschauplatz (dazu gehörten auch die 164er), Versetzungen zwischen Einheiten dürften häufiger gewesen sein als oft angenommen wird.

Allein die Daten der Gefallenen zu erfassen, macht trotz vieler Teilerkenntnisse wenig Sinn. Wir haben also versucht, noch möglichst viele weiterer Informationen, insbesondere über die Personen, zu ermitteln. Die staatliche Archivüberlieferung war allerdings dabei nur bedingt hilfreich, hier fand sich verlgeichsweise wenig Archivmaterial. Immerhin ist es gelungen, vor allem dank des Einsatzes einer Studentin, mittlerweile an viele persönliche Zeugnisse zu gelangen, die im aktuellen Semester systematisch ausgewertet werden sollen. Darunter befindet sich auch eine handbestickte Mappe nicht nur mit Briefen der beiden Söhne einer Bückeburger Familie, sondern vor allem - beide Söhne waren im November und Dezember 1914 binnen fünf Wochen gefallen - auch die Beileidsschreiben von Verwandten, Freunden und Verwandten. Viele sind ohne Ortsangabe und oft nur vorgedruckte Kärtchen meist mit einem handschriftlichen Zusatz versehen, vermutlich aus Bückeburg stammend, aber eine Reihe kommt von außerhalb, wobei es sich in diesem Fall um längere Briefe handelt. Sie zeigen zum einen die weitgehenden verwandtschaftlichen Beziehungen der Familie, die weit über den Wohnort hinaus gingen, sie belegen aber auch, mit welchen Worten und Strategien versucht wurde, sich mit dem Tod der beiden Brüder auseinander zu setzen. Was zumindest bei einer ersten Durchsicht sich andeutet: Die Schreiben wirken keineswegs standardisiert, sondern sehr individuell und setzen sich immer auch mit der Unmöglichkeit, Trost zu spenden, auseinander. Zuflucht wird immer wieder bei Gott gesucht. Der Heldentod oder das Vaterland spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Hier könnte die Möglichkeit bestehen, Traueranzeigen, von denen immer zu vermuten ist, dass sie öffentliche Erwartungen berücksichtigen, mit einer anderen Quelle zu kombinieren. Bislang haben wir nur diese eine Quelle, werden aber nach weiteren suchen.

Und weiter? In den nächsten Wochen sollen diese und andere Quellen erfasst und ausgewertet werden, außerdem wollen wir im Landkreis Uelzen die dort vorhandenen zahlreichen Schulchroniken daraufhin untersuchen, ob sie weitere Aufstellung der Soldaten enthalten wie wir sie für Hösseringen gefunden haben.

Spätestens im Winter werden wir wohl auf unserer Lernwerkstatt Ergebnisse dieser Arbeit präsentieren. Eine Masterarbeit über Rinteln in der Anfangsphase des Krieges ist zudem auch schon im Rahmen des Projektes erschienen, die wir auf der Lernwerkstatt veröffentlichen werden.

Montag, 7. Oktober 2013

Fließbandarbeit

Vor 100 Jahren begann Henry Ford erfolgreich mit der Fließbandproduktion (http://www.zeit.de/video/2013-10/2725958087001/technikgeschichte-vor-100-jahren-begann-bei-ford-in-den-usa-die-fliessbandarbeit), aber er war nicht der erste, in Hannover war man schneller (aber leider erfolgloser): http://www.damals.de/de/16/Aufstieg-und-Fall-eines-Eisenbahnkoenigs.html

Sonntag, 29. September 2013

Meine Dörfer

Bei der Vorbereitung meiner letzten Vorlesung über Dorf und Region habe ich angefangen, meine sehr persönlichen Eindrücke und Erfahrungen über die Dörfer aufzuschreiben, in denen ich gearbeitet und teilweise auch gelebt habe. Nach einigem Überlegen habe ich diese Erfahrungen - mit meist knappen Literaturangaben versehen - in einem kleinen Weblog begonnen zu veröffentlichen. Es werden noch ein paar Dörfer dazu kommen. Hier findet man die Einträge:

http://meinedoerfer.blogspot.de/

Samstag, 21. September 2013

Lernen

Bislang war ich immer sehr skeptisch, was das "Lernen aus der Geschichte" angeht. Mittlerweile bin ich da vorsichtiger. Nicht, dass es ein einfaches Lernen aus der Geschichte gäbe, aber es wäre vielleicht doch sinnvoller, wenn bei strukturellen Entscheidungen in diesem Land kompetente Historiker beteiligt würden. Das aktuelle Desaster um den Jade-Weser-Port ist für mich da ein gutes Beispiel. Mit einem immensen Aufwand wurde ein Tiefwasserhafen in Konkurrenz zu Bremerhaven und Hamburg aufgebaut. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden. Nur: Wilhelmshaven bietet eine lange Geschichte der nicht nutzbaren Chancen. Oder anders formuliert: Das Projekt, aus einem Nur-Kriegshafen einen erfolgreichen und konkurrenzfähigen Tiefwasserhafen zu machen, ist nicht neu, sondern hat eine lange Vorgeschichte. Zunächst wurde direkt nach 1945 der Hafen samt der Werft systematisch zerstört. Danach versuchte man es mit neuen zivilen und nicht-maritimen Produkten, ab Mitte der 1950er Jahre wurde nicht nur Marine hier stationiert, sondern später sollte der vorhandene Tiefwasserhafen als Standortvorteil genutzt werden, doch die interne Konkurrenz, siehe oben, war immer stärker. Lange Strukturen können offenkundig nicht kurzfristig verändert werden. Dazu gehört auch die strukturell schlechte Anbindung an das "Hinterland" - ebenfalls ein keineswegs neues Problem. 

Angesichts dieser Vorgeschichte erscheint es zumindest von außen als ein reichliches waghalsiges Manöver, was da versucht wurde. Der tiefe Hafen allein reicht nicht und wird auch nicht reichen. Warum, frage ich mich, wurden diese strukturellen Probleme nicht erst gelöst, ehe ein teurer Hafen gebaut wurde?

Zur aktuellen Situation: http://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Uebersicht/Wenig-Betrieb-JadeWeserPort-spuelt-kein-Geld-in-die-Kasse

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