Wieder zurück!
Auf Digireg ist es lange recht ruhig gewesen. Das lag an zweierlei Dingen: Zum einen hatte ich - wieder einmal - kein besonderes Interesse, hier zu posten. Zum anderen habe ich ein paar andere Blogs angelegt und dort etwas geschrieben. Aber eigentlich ist es schade um Digireg und deshalb mache ich einen Versuch, hier wieder etwas zu notieren. In diesem Fall über das, womit ich mich zusammen mit einigen Studierenden seit etwa einem Jahr beschäftige: Aspekten des Ersten Weltkriegs in der Region.
Das klingt erst einmal recht allgemein, aber es geht um zunächst sehr konkrete Dinge. Christoph Rass aus Osnabrück hatte uns den Tipp gegeben, sich einmal genauer die Toten eines Ortes anzusehen: Wer sie waren, woher sie stammten, wo sie lebten, wo sie starben. Er hat es mit seinen Leuten inzwischen zu einer gewissen Meisterschaft gebracht (u.a. arbeitet er mit einem GIS), die wir in Hannover noch nicht erreicht haben.
Die Idee hinter diesem Projekt ist, zum einen nach den sozialen Folgen des Todes vieler junger Männer zu fragen, zum anderen sie als eine mehr oder weniger repräsentative Gruppe der damaligen Soldaten anzusehen.
So haben wir im letzten Jahr zunächst die Gefallenen der beiden Kleinstädte Bückeburg und Rinteln erfasst - es waren knapp über 400 von 11.000 Einwohnern - sowie deren Herkunft und die Sterbeorte. Die große Herausforderung war die Ermittlung der Toten, denn die vorhandenen Listen sind oft interpretationsfähig und ohne die örtlichen Personenstandsnachweise wären wir nicht weiter gekommen.
Immerhin konnten wir so die starke räumliche Verteilung der Gefallenen ermitteln und damit das Bild korrigieren, das immer noch viele vom Ersten Weltkrieg haben, nämlich dass dieser sich vornehmlich an der Westfront abgespielt hat. Viele sind auch gar nicht an der Front gefallen, sondern im Lazarett, zuweilen sogar in direkter Näher ihrer Heimatorte.
Der Erste Weltkrieg wird zudem immer wieder mit einem mörderischen Stellungskrieg verbunden, die Schlachten an der Somme oder vor Verdun können dabei als Beispiel dienen. Zugleich sind die Soldaten aus unseren beiden bisherigen Untersuchungsgemeinden vornehmlich im ersten und letzten Kriegsjahr gefallen, nicht im Jahr 1916. Das entspricht zwar auch den allgemeinen Daten, ist aber dennoch auch für das lokale Geschehen bedeutungsvoll gewesen.
Was uns überrascht hat, ist die starke Streuung der Einheiten, in denen die Gefallenen gedient haben. Für beide Städte gab es „Heimateinheiten“, in Rinteln war es das Hamelner IR 164, in Bückeburg das dort stationierte Jägerbataillon 7. Während in letzterem noch eine größere Zahl der Gefallenen gedient hatte, ist in Rinteln die Streuung erheblich. Hier gehörte noch nicht einmal jeder 10. Gefallene dem „Heimatregiment“ an. Für das kleine Heidedorf Hösseringen konnten wir übrigens in einer Schulchronik alle Kriegsteilnehmer ermitteln. Dort war die Streuung noch größer: 44 Kriegsteilnehmer und eben so viel Einheiten. Zwar waren einige, maximal drei, in einer Einheit, aber andere dienten während des Krieges in bis zu drei Einheiten. Die Mobilität der Soldaten dürfte erheblich gewesen sein: Viele Einheiten wechselten mehrfach den Kriegsschauplatz (dazu gehörten auch die 164er), Versetzungen zwischen Einheiten dürften häufiger gewesen sein als oft angenommen wird.
Allein die Daten der Gefallenen zu erfassen, macht trotz vieler Teilerkenntnisse wenig Sinn. Wir haben also versucht, noch möglichst viele weiterer Informationen, insbesondere über die Personen, zu ermitteln. Die staatliche Archivüberlieferung war allerdings dabei nur bedingt hilfreich, hier fand sich verlgeichsweise wenig Archivmaterial. Immerhin ist es gelungen, vor allem dank des Einsatzes einer Studentin, mittlerweile an viele persönliche Zeugnisse zu gelangen, die im aktuellen Semester systematisch ausgewertet werden sollen. Darunter befindet sich auch eine handbestickte Mappe nicht nur mit Briefen der beiden Söhne einer Bückeburger Familie, sondern vor allem - beide Söhne waren im November und Dezember 1914 binnen fünf Wochen gefallen - auch die Beileidsschreiben von Verwandten, Freunden und Verwandten. Viele sind ohne Ortsangabe und oft nur vorgedruckte Kärtchen meist mit einem handschriftlichen Zusatz versehen, vermutlich aus Bückeburg stammend, aber eine Reihe kommt von außerhalb, wobei es sich in diesem Fall um längere Briefe handelt. Sie zeigen zum einen die weitgehenden verwandtschaftlichen Beziehungen der Familie, die weit über den Wohnort hinaus gingen, sie belegen aber auch, mit welchen Worten und Strategien versucht wurde, sich mit dem Tod der beiden Brüder auseinander zu setzen. Was zumindest bei einer ersten Durchsicht sich andeutet: Die Schreiben wirken keineswegs standardisiert, sondern sehr individuell und setzen sich immer auch mit der Unmöglichkeit, Trost zu spenden, auseinander. Zuflucht wird immer wieder bei Gott gesucht. Der Heldentod oder das Vaterland spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Hier könnte die Möglichkeit bestehen, Traueranzeigen, von denen immer zu vermuten ist, dass sie öffentliche Erwartungen berücksichtigen, mit einer anderen Quelle zu kombinieren. Bislang haben wir nur diese eine Quelle, werden aber nach weiteren suchen.
Und weiter? In den nächsten Wochen sollen diese und andere Quellen erfasst und ausgewertet werden, außerdem wollen wir im Landkreis Uelzen die dort vorhandenen zahlreichen Schulchroniken daraufhin untersuchen, ob sie weitere Aufstellung der Soldaten enthalten wie wir sie für Hösseringen gefunden haben.
Spätestens im Winter werden wir wohl auf unserer Lernwerkstatt Ergebnisse dieser Arbeit präsentieren. Eine Masterarbeit über Rinteln in der Anfangsphase des Krieges ist zudem auch schon im Rahmen des Projektes erschienen, die wir auf der Lernwerkstatt veröffentlichen werden.
KHSchneider - 13. Mai, 17:39