Am 6. September 1858, also vor 150 Jahren, wurde die Ilseder Hütte östlich von Hannover gegründet. Das Unternehmen selbst besteht zwar nicht mehr, aber der Nachfolgekonzern Salzgitter AG feiert dies Ereignis dennoch gebührend, u.a. mit einer Unternehmensgeschichte (Wessel, Horst A.,
Stahl und Technologie. Salzgitter AG 1858-2008. Salzgitter, 2008). Am Historischen Seminar hatten wir vor 10 Jahren uns auch mit diesem Thema auseinander gesetzt (
Zur Geschichte der Ilseder Hütte). Inzwischen ist immerhin das Werksarchiv jetzt Teil des
Niedersächsischen Wirtschaftsarchivs Braunschweig, so dass die noch vor 10 Jahren kaum benutzbaren Bestände jetzt endlich wissenschaftlich genutzt werden können.
Allerdings mangelt es immer noch an einer systematischen wissenschaftlich-kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Niedersachsen (Stichwort Conti, VW) sollte aber vielleicht doch darauf verwiesen, dass die Standarderzählung, Niedersachsen sei ein Agrarland, in Frage gestellt werden sollte. Wilhelm Treue hatte dies schon 1955 getan (Treue, Wilhelm,
Zehn Jahre Land Niedersachsen. Hildesheim: Lax, 1956), aber dennoch spielt diese agrarische Prägung des Landes bis heute eine wichtige Rolle, u.a. auch mit Bezug auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts, wo die "Mustererzählung" lautet, dass der hannoversche König der Industrialisierung skeptisch gegenüber stand. Allerdings trifft das den Kern der Sache nur bedingt, denn mit Linden (1920 zu Hannover eingemeindet) hatte das Königreich schon früh ein zunächst kleines, aber sehr innovatives industrielles Zentrum. Der Bau der Georgsmarienhütte bei Osnabrück ging sogar auf staatliche Initiative zurück und mit der Ilseder Hütte entstand bald ein zweites Zentrum der noch jungen Schwerindustrie. Im Kaiserreich weiteten sich diese industriellen Ansätze schnell aus.
Bei all dem muss berücksichtigt bleiben, dass das spätere Niedersachsen (zu dem neben Hannover auch noch Braunschweig, Oldenburg und das ebenfalls schnell industrialisierende Schaumburg-Lippe gehörten) im Vergleich zum nahe gelegenen Ruhrgebiet massive Standortnachteile hatte, denn es fehlten einfach die grundlegenden Steinkohlefelder. Andererseits litt das Königreich Hannover auch daran, dass es lediglich zwischen 1837 und 1866 eine in Hannover aktive Regierung hatte, während es bis 1837 eher wie ein Nebenland und ohne eine politisch aktive Elite geführt wurde. Die in den süddeutschen Ländern schon in der napoleonischen Zeit so massiv betriebene innere Landesgründung entfiel hier fast vollkommen bzw. wurde zu spät in Angriff genommen, was bis heute das Grundübel des Landes darstellt.
Insofern bildet die Geschichte der Ilseder Hütte ein Gegenbild zum vermeintlich agrarisch-rückständigen Niedersachsen des 19. Jahrhunderts. Es ist eine - auch angesichts der strukturellen Probleme wie die phosphathaltigen Erzfelder - eine besondere Erfolgsgeschichte.
KHSchneider - 22. Sep, 09:13