Samstag, 5. Dezember 2009

Der "gute" Nazi?

Wohl nie hat es vor uns eine Generation gegeben, die soviel für Deutschland geopfert und gelitten hat, wie die unsere. Aber auch noch niemals ist eine ganze Generation so verleumdet, beleidigt und besudelt worden, wie die unsere.“

Dieser Satz steht ganz am Anfang persönlicher, nicht zur Veröffentlichung gedachter Erinnerungen an die NS-Zeit. Vorweg ist ein offenbar handgezeichnetes DIN-A 4 Blatt eingelegt mit einem Bild von Adolf Hitler. Autor des Textes ist Karl Dreier, geboren 1898 in Bückeburg, Anfang der 30er Jahren für kurze Kreisleiter in Schaumburg, dann bis 1938 in Schaumburg-Lippe, wo er von Mai 1933 bis April 1945 als Landespräsident die Regierung führte bzw. bildete. Ab November 1933 war er auch Mitglied des Reichstags und des Reichsrats. Während des Zweiten Weltkriegs übte er mehrfach für kurze Zeit den Militärdienst aus, arbeitete zeitweilig im Ostministerium unter seinem Gönner und Vorgesetzten Alfred Meyer und war noch im letzten Kriegsjahr stellvertretender Regierungspräsident in Minden. Nach seiner Flucht aus Schaumburg-Lippe Anfang April 1945 wurde er im Mai 1945 verhaftet, verbrachte 2 ½ Jahre in einem Internierungslager, sein Spruchgerichtsverfahren wurde 1949 in Bielefeld eingestellt, 1974 starb er in Bückeburg.

Dreier gelang direkt nach dem Krieg etwas, was er später, während er seine oben zitierten Erinnerungen wohl Anfang der 60er Jahre aufschrieb, noch vertiefte: Seine Selbststilisierung zum „guten Nationalsozialisten“. Ein Zeitungsartikel vom 28.Februar 1949 formulierte das so: „Nach den Bekundungen zahlreicher Zeugen und seinen eigenen Darstellungen hat er sein Ländchen weitgehend vom politischen Radikalismus frei gehalten. Wenn irgendwelche Aktionen bevorstanden, dann ließ Dreier die Führer der SA und SS zu sich kommen und sich das Versprechen geben, dass in Schaumburg-Lippe nichts passieren würde.“
Frank Werner widmet sich in seinem Beitrag über Karl Dreier dieser Frage: War Dreier der „gute“ Nazi, als den er sich in seinen Erinnerungen darstellt und wie er lange Zeit auch in Schaumburg-Lippe gesehen wurde? Werner nutzt die Dreierschen Erinnerungen, um an ihnen nicht nur das Selbstbild des Verfassers zu analysieren, sondern auch um konkrete, erwähnte Ereignisse auf der Basis von anderen Quellen zu überprüfen, und, wichtiger noch, die Ereignisse zu nennen, die Dreier in seiner Selbstdarstellung offenbar vergessen hat. Das Ergebnis fällt eindeutig aus, denn auch wenn Dreier sich als einen gerechten und ordnungsliebenden Menschen sah (und seine direkte Umgebung ihm darin offenbar folgte), so war dies doch die Ordnung der Nationalsozialisten, oder, wie Werner formuliert: „Die Moral, die Dreier für sich beanspruchte, blieb Teil einer prinzipiellen Unmoral, (…). Bei der Verfolgung von Gegner reduzieren sich Dreiers Vorstellungen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit auf den Modus der Ausführung.“

Die Frage bleibt, ob diese Selbstwahrnehmung wirklich nur ein Phänomen bei dem Schaumburg-Lipper Dreier war oder von allgemeinerer gesellschaftlicher Relevanz. Die Ausgrenzung des Terrors nach außen (Fremde übten den Terror aus, die Einheimischen waren gute Nazis, für den wirklichen Terror waren ohnehin nur Teile der SS zuständig) war doch mehr, nämlich Teil einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren. Dies war der gesellschaftliche Konsens, auf dessen Basis sich problemlos Nazis und Nichtnazis verständigen konnten, der die Verdrängung des realen Geschehens erleichterte.

Frank Werner, „Schon die Bezeichnung Nazi lehne ich ab.“ Karl Dreier – der Landespräsident und die Verfolgungspolitik in Schaumburg-Lippe. In: Ders., Hrg., Schaumburger Nationalsozialisten. Täter, Komplizen, Profiteure. (Kulturlandschaft Schaumburg 17) Bielefeld 2009, 95-167.

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