Wie sollen Wissenschaftler schreiben?

"Wieviel Verklausulierung braucht Wissenschaftssprache?" fragt Christian Höschler am 8. September. Die Antwort ist leider genau so unzureichend wie die Antworten, die ich in den dort verlinkten Artikeln gesehen habe. Geht es wirklich darum, dass Wissenschaftler verstanden werden? Und sind es die schlechten Vorbilder der Hochschullehrenden? Was bei Debatten wie diesen immer vergessen wird, dass es um ganz andere Dinge geht. Für junge Wissenschaftler geht es darum, eine Stelle an der Uni zu bekommen. Dafür muss man/frau von den richtigen Leuten gelesen und rezipiert werden, muss in den richtigen Verlagen publiziert haben, damit man/frau auf den Berufungslisten eine Chance hat. DAS ist entscheidend und nicht, wie viele Leute einen sonst noch gelesen haben. Hier in Hannover hat mal vor 30 Jahren ein damals junger Dozent ein schönes allgemeinverständliches Buch geschrieben. Ratet mal, liebe Leser, wie darauf seine Zunft geantwortet hat? Und wäre es heute noch so viel anders?

Und damit zu den Blogs. Anstatt hier rumzuschurbeln, wozu die alles gut sind und weshalb sie unbedingt notwendig sind und all dies bla, bla, bla. Warum nicht sich offen zu einer wissenschafftlichen Gegenöffentlichkeit bekennen, die sich nicht an die traditionellen Regeln hält, nicht die wichtigen Tagungen und Kolleginnen und Kollegen im Auge hat, um sich das nächste Projekt oder die nächste freiwerdende Stelle zu sichern? Einfach auf etwas Neues einlassen und mal sehen, was daraus wird. Und wenn nicht, dann nicht, versucht man was Neues. Ach ja, und nicht immer auf das Lesen am Rechner setzen, die Menschen warten darauf, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihnen reden und sich auf sie einlassen, bringt manchmal mehr als mancher Blog.

ChaosPhoenix - 17. Sep, 13:57

Wie bei Hölscher steht schreiben Wissenschaftler für Wissenschaftler. Es ist schon so, dass bestimmte Fachtermini notwendig sind. Allerdings hat auch keiner gesagt, dass man diese Abschaffen soll. Die Probleme entstehen da, wo diese ohne Kontext inflationär umhergeworfen werden. Auch Wissenschaftler kennen nicht jeden Fachbegriff und viele der Begriffe haben in verschiedenen Zusammenhängen eine andere Konnotation. Das Sozialwissenschaftler, Historiker und Politikwissenschaftler mit demselben Begriff immer dasselbe meinen ist nicht zu erwarten. Trotzdem lesen und arbeiten sie auch mit Büchern anderer Disziplinen und laufen so in interdisziplinäre Fallen.

Es sieht oft so aus, als fühlen sich einige durch Fachsprache davon entbunden gute Texte zu schreiben. Schlecht verständliche Texte müssen hingegen gut sein. Wenn wertvolle Ideen drinstecken, müssen sie anscheinend schwer zu verstehen, immerhin hat man auch schwer gearbeitet, um sie zu entwickeln.

Warum es keine wissenschaftliche Gegenöffentlichkeit im Netz gibt? Trotz aller Diskussionen? Weil unser Gehalt noch aus der Standard-Öffentlichkeit kommt.

recensio - 18. Sep, 10:40

„Geht es wirklich darum, dass Wissenschaftler verstanden werden? Und sind es die schlechten Vorbilder der Hochschullehrenden? […] Für junge Wissenschaftler geht es darum, eine Stelle an der Uni zu bekommen.“ Klar, natürlich! Genau das ist ja das Elend! Deshalb schrieb C. Höschler: „Wie weit aber darf der Verklausulierungstrend gehen, von dem man – seien wir ehrlich – insgeheim vermutet, dass er vom Autor aus Gründen vermeintlicher Statusschaffung gehegt und gepflegt wird?“
Genau diesen Zustand gilt es zu überwinden, und das übergeordnete Ziel ist natürlich das, dass Wissenschaft verstanden wird. Und zwar von allen Interessierten, die sie mitfinanzieren. In den Geisteswissenschaften wäre das im Gegensatz zur Quantenphysik problemlos möglich.

KHSchneider - 19. Sep, 08:19

Tja, aber es hindert doch niemanden daran, anders, verständlicher zu schreiben. Oder es zu versuchen.
Mich würde mal interessieren, wie die Nicht-Wissenschaftler darauf reagieren, dass sich Wissenschaftler wieder darüber austauschen, was sie wie machen. Meine These ist aber: das derzeitige System belohnt nicht die, die "verständlich" schreiben, sondern die anderen. Appelle richten da gar nichts aus, sondern eine andere Praxis. Dazu könnte man auch Blogs nutzen (und einige tun es ja auch), aber das Reden, bzw. Schreiben darüber?
Ein neuer, kritischer Geist fehlt mir. Aber selbst unsere Studierenden sind eifrig darum bemüht, es ihren Professoren recht zu machen (die nächste Prüfung kommt bestimmt). Kritische Geister haben es schwer, sich durchzusetzen. Zu viele haben Angst, etwas "falsch" zu machen, nicht in der vorgebenen Zeit am Ziel (was das auch immer sein soll) zu sein. Das sind alles nur persönliche Eindrücke (aber ich versuche viel mit unseren Studierenden zu sprechen); sie machen mich aber traurig, nein, ärgerlich.
Und wenn diese, die sich in der Uni nicht angmessen beachten fühlen, dann sagen würden: Na gut, wir machen uns eigenes Ding, und dazu nutzen wir beispielsweise Blogs. Dann gerne. Mache ich ja (jetzt wieder) auch und habe es deswegen gemacht. Aber nicht, weil irgendjemand, ich müsse etwas so und nicht anders tun.
Noch ein Wort zum Verständlichen eine private Anmerkung: Nach meinem Studium und Promotion bin in die Weiterbildung gegangen, habe 10 Jahre davon gelebt, mit interessierten Laien Dorfgeschichte zu erarbeiten, mit der NS-Geschichte sich auseinander zu setzen, dann systematisch an - damals bundesweit einmaligen - Heimatforscherfortbildungen aktiv teilzunehmen, habe dazu eine eigene Schriftenreihe (Bausteine zur Heimat- und Regionalforschung) inititiert und die ersten Bände geschrieben. Eine Gruppe, die sich vor 30 Jahren zusammen gefunden hat, hat letztes Jahr mit mir zusammen ein Büchlein wieder heraus gegeben (die Hälfte der Gruppe ist die gesamten 30 Jahren dabei geblieben). Sich verständlich gegenüber Laien auszudrücken (und nicht nur beim Schreiben von Büchern) ist Teil meiner Berufsbiographie - dafür fehlt mir eben die universitäre Sozialisation. Ich würde mich freuen, wenn mehr dieser Adressaten Blogs, bzw. das Internet mehr nutzen würden, habe aber im direkten Gespräch wenig Begeisterung gefunden.
Was mich dazu derzeit umtreibt, gibt es - vielleicht - hier auch zu lesen.
So, nun ist gut.
ChaosPhoenix - 18. Sep, 15:57

Als ganz junger Wissenschaftler kann ich nur sagen, dass ich versuche es.

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