"Langes" 19. Jahrhundert?

In der deutschen Geschichtsschreibung hat sich in den letzten Jahren, angelehnt an Hobsbawm, die Annahme eines langen 19. Jahrhunderts durchgesetzt. Mir erscheint diese Annahme einer weitgehenden Einheit zwischen 1789 und 1914 schon seit längerem fragwürdig. Die europäische Gesellschaft um 1900 war uns viel näher als der Gesellschaft des Ancien Regime oder der Revolutionszeit. Wie nahe diese Welt um 1900 uns heute ist, wurde úns heute wieder deutlich, als wir in Barcelona eines der wundervollen Bauwerke des Antonio Gaudi angesehen haben. Fast alles, was unsere heutige Gesellschaft ausmacht, ist von unseren Urgroßväter schon erdacht oder wenigstens projektiert worden: Die Nachrichtenübermittlung über weite Entfernungen war schon Realität, damit die Kommunikation über den Atlantik hinweg, es gab Autos und Flugzeuge, selbst der Flug zum Mond war denkbar, es gab Freizeit und Freizeitvergnügen, es gab die Moderne, von der wir heute immer noch zehren, wie gerade das Werk des Gaudi belegt. Umgekehrt würden vermutlich die Menschen der Zeit um 1900 sich heute zwar fremd fühlen, aber viel von unserem Alltag nach kurzer Zeit verstehen.
Nebenbei: Es ist erschreckend, wie modern hier in Barcelona die Ausstellungstechnik ist, die meisten deutschen Museen, speziell die historischen, sind Jahre zurück.
Ralf Raths - 4. Feb, 08:49

Aus Sicht der westlichen Militärgeschichte ergibt sich dieser Eindruck ebenfalls. Üblich ist hier eine Sichtweise, welche die Volksheere (dank neuerer Forschung mit aller Skepsis diesem Begriff gegenüber!) der französischen Revolutionszeit als Aufbruch in die militärische Moderne betrachtet, um dann mit dem Ersten Weltkrieg einen auch militärkulturellen Bruch zu konstatieren, der das Zeitalter des industrialisierten Krieges einläutet.

Diese Perspektive ist aber nur durchzuhalten, wenn man das in der deutschen Zunft so ungeliebte Kind Technikgeschichte ignoriert. Bezieht man diesen Aspekt nämlich mit ein, so wird rasch klar, dass sich spätestens ab Mitte der 1880er Jahre eine drastische Dynamik im militärischen Diskurs entwickelt, die auf der Entwicklung neuer Waffen und daran anhängig neuer taktischer und operativer Ideen basiert, und die nachhaltige Auswirkungen auf die Ausbildung, die Armeestruktur und das Selbstverständnis der militärischen Elite hat.

Wenn man dies subsummiert, so dauert das 19. Jahrhundert aus militärhistorischer Perspektive in Deutschland eher bis 1890. Wenn überhaupt.

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